Heute ist der archaelogische Tag: es geht um Dinge, die "unearthed" wurden oder noch werden. Ich werde gerade mit mir nicht einig, ob dieses Wort besser waere als "ausgraben" …
Unser erstes Ziel heisst Banpo, so der Name eines jungsteinzeitlichen Dorfes, das man an einem Flussufer unweit von Xi'an entdeckt hat, als man dort in den 1950er Jahren ein Kraftwerk bauen wollte - das hat man dann halt statt dessen am anderen Ufer gebaut. Und die Staette erhalten - immerhin! Die mobilen Fundstuecke (das Uebliche: Keramik, Steinwerkzeuge, Knochenobjekte) sind in einer Ausstellungshalle gleich vorn rechts versammelt. Die Keramik ist teilweise bemalt, und einige der Dessins sind recht reizvoll, so zum Beispiel die Fische oder die Maske, die sich die Staette zum Logo erwaehlt hat. In der zweiten Halle geht es eigentlich um Brehms oder ich weiss nicht wessen Tierleben, aber es ist mehr ins Pflanzliche abgedriftet: Kraut und Rueben. Saeugetier- und Dinosaurier-Relikte wechseln sich munter ab, es ist kein Ordnungsprinzip erkennbar. Daher halten wir uns hier nicht lange auf. Auf der linken Seite wirbt
jetzt ein Laden in grossen Lettern nicht nur fuer seine Keramik, sondern auch fuer seine "western style toilets".
Noch alberner ist aber das steinzeitliche Dorf, das den Museumsgarten mit unfreiwilliger Komik fuellt. Rundhuetten mit Lehmwaenden, Grasdach - und Klimaanlage. Innen sind sie mit Edelholz verkleidet. Darin stehen ein Bartresen und der kalte Rauch der letzten verqualmten Steinzeitparty, fuer die man die Huetten offenbar buchen kann. Vor einer Versammlungshuette ragen zwei Totempfaehle auf, die an den Cartoon von Gary Larson erinnern (kaum dass man wegschaut, ziehen die grimmigen Masken darauf Grimassen). Unweit davon stolzieren zwei Haehne ohne Huehnerharem umeinander herum. Den Rest des Gartens fuellt ein Pfingstrosenfeld, aber die dicken runden Knospen haben sich noch nicht geoeffnet. Es gibt auch noch Huetten, die nach Steinzeit-Selbsterfahrungs-Toepferkurs aussehen, aber die sind geschlossen. Na, wenn das so weitergeht, ist Banpo aber nicht der Rede wert. Wir gehen mal lieber in der Museumshalle gucken.
Aha, das sieht schon serioeser aus. Wenn ich das richtig verstehe, hat man hier die Ausgrabungsstaette in situ ueberdacht und konserviert. Ein relativ grosses Areal ungefaehr in der Form zweier an einer Ecke ueberlappender Quadrate ist von einer Art Aussichtsterrasse umgeben, von der aus die Besucher das uebersehen koennen, was von einem Dorf aus der Jungsteinzeit uebrig ist: in staubtrockener gelblich-brauner Erde sieht man im Wesentlichen Loecher im Boden, sehr verschieden gross und tief: Loecher fuer Haeuser, Loecher fuer Pfosten, Loecher fuer Vorraete, Loecher fuer Feuerstellen, Loecher fuer Bestattungen und ein sehr langes Loch (manche nennen sowas einen Graben) zum Umleiten des Flusses, so dass man mit dem Fluss auf der einen Seite des Dorfes und mit dem Graben auf der anderen einen natuerlichen Schutz geschaffen hatte. Einige Haeuser sind rund, andere eckig. An verschiedenen Stationen erklaeren Kurzfilme, die abwechselnd in einer englischen und einer chinesischen Version laufen, was die Wissenschaft ueber das Leben in Banpo in der Jungsteinzeit festgestellt hat. Wie Haeuser gebaut wurden, zum Beispiel: ein flaches Loch graben, als Wand einen kleinen Wall produzieren, Pfosten setzen, Waende mit Lehm verkleiden, Feuer anzuenden, damit Boden und Waende ein bisschen gebrannt werden und somit gehaertet und feuchtigkeitsbestaendig, das Dach mit Stroh decken, fertig. - Die Toten wurden liegend erdbestattet und bekamen zwei, drei grosse Schuesseln mit auf den Weg, die man ihnen auf die Beine stellte. Die Schuesseln (oder sollte ich "Schalen" sagen, weil es irgendwie edler klingt? ;-)) ) wurden in der dorfeigenen Toepferei gefertigt, man hatte die Ofentechnik schon so weit vorangetrieben, dass man von den horizontalen Modellen auf vertikale Konstruktionen uebergegangen war, mit denen hoehere Brenntemperaturen erreicht werden koennen. In der kleinen Extrahalle mit Ofenmodell hat sich ein moderner Toepferkuenstler mit gut gelungenen, expressiven Figuren der Steinzeithandwerker verewigt, die etwa im Massstab 1:8 die verschiedenen Arbeitsschritte der Keramikherstellung veranschaulichen.
Das ist alles recht gut aufbereitet, viel besser jedenfalls, als der Garten befuerchten laesst. So richtig verstehe ich aber nicht, warum sie im Garten nicht ein paar Haeuser nach Steinzeitvorbild rekonstruieren, das waere aus meiner Sicht das Naechstliegende.
Wir machen jetzt jedenfalls einen gewaltigen Satz in die Neuzeit und fahren als naechstes Ziel die Huaqing-Thermalquellen an. Die Bluetezeit des Ortes war unter der Tang-Dynastie, als das Areal zehnmal groesser war als heute. Hier gab es einen richtigen Kaiserpalast inclusive einer ganzen Suite von Baedern, denn die verwoehnten Angehoerigen des kaiserlichen Hofes, allen voran der Kaiser selbst mit seinen Konkubinen, hatten keine Lust, sich im Winter in Xi'an den Allerwertesten abzufrieren. Schon gar nicht, wenn man in solcher Naehe kostenlos und unbeschraenkt angenehm temperiertes Wasser von 43 Grad Celsius zur Verfuegung hatte!
Jetzt ist im Wesentlichen alles neu angelegt, von den alten Badebecken mal abgesehen. Wir beginnen unsere Besichtigung im Museum. Burkhard ist vom Rohrleitungsbau der tangzeitlichen Architekten beeindruckt, aber wenn man andererseits an die roemische Wasserarchitektur (Leitungen und Thermen) denkt, die mehr als ein halbes Jahrtausend frueher auch da fuer frisches und wohlig-warmes Wasser gesorgt hatte, wo es nicht einfach so aus dem Boden fliesst, relativiert sich die Groesse der Errungenschaften ein wenig. Auf drei weiteren, recht finsteren Etagen gibt es sonst wenig Erwaehnenswertes.
Wir passieren ein daoistisches Tempelchen, in dem 12 Figuren mit Tierkoepfen die 12 chinesischen Tierkreiszeichen repraesentieren - fuer jeden was dabei. Dieses Jahr darf das Rindviehwesen das leicht verblichen-rote Ehrenmaentelchen aus "Plastikseide" tragen.
Bevor wir zu den heissen Quellen kommen, fuehrt ein steinerner Steg zwischen zwei Pavillons ueber einen kuenstlichen See, in dem nur wenige Zentimeter unter der Wasseroberflaeche eine Buehne zu sehen ist und in dem auch sonst allerlei wasserfeste Technik den Tag verschlaeft, um in einer allabendlichen Show von oder doch à la Zhang Yimou den Glanz vergangener Zeiten fuer heutige Zuschauer aufzupolieren. Ich bin fast mehr von den Perlenvorhaengen an den Pavillons beeindruckt: das sind echte Glasperlen!
An zwei Handwaschbecken gibt es jetzt Thermalwasser zum Anfassen. Die Temperatur von (wie gesagt) 43 °C ist sehr angenehm, und die Mineralisation mit Natriumcarbonat und Calciumsulfat - oder so - hinterlaesst ein angenehmes Hautgefuehl. Frueher hiess es natuerlich, dass das Wasser schoen macht: gerade richtig fuer die Frauen des Kaisers …
Man kann ein rechteckiges freiliegendes Quellbecken sehen und ein rundes unter einem Felsvorsprung; sie sehen fast aus, als ob das Wasser in ihnen stehen wuerde. Und dann kommen die Baeder. Es beginnt mit dem Bediensteten-Bad. Das sei besonders fuer die hart arbeitenden Koeche gewesen, damit die sich zwischendurch pflegen und um so besser kochen konnten. Dann gibt es den viereckigen "Star Pool" der nicht etwa fuer Stars gedacht war (oder eigentlich doch), sondern freien Blick auf den hoffentlich sternuebersaeten Himmel gewaehrt, wenn der Kaiser dort mit seinen zahlreichen Konkubinen planscht. So war das frueher - heute ist das Becken erstens trocken und zweitens ueberdacht. Das naechste Becken ist bluetenfoermig fuer die Konkubinenschar, und das letzte aus der alten Zeit ist vergleichsweise klein und ebenfalls bluetenfoermig, wie eine sehr grosse Luxusbadewanne. Das war ein Geschenk des Kaisers fuer seine Lieblingskonkubine Yang Guifei zum 17. Geburtstag. Nicht schlecht! Mir hat noch nie jemand einen Swimmingpool geschenkt …
Apropos Yang Guifei: sie bildet mit Xuan Zong, dem zweiten Kaiser der Tang-Dynastie, ein klassisches tragisches Liebespaar à la Julia und Romeo. Urspruenglich war sie die Konkubine seines Sohnes oder Vaters oder so aehnlich, aber dann hatte Xuan Zong sie fuer sich entdeckt und auch nur noch Augen und Ohren fuer sie. Staatsgeschaefte? Och nooeee … Das fanden die Beamten und Generaele dann irgendwann nicht mehr witzig, und als ein Verteidigungsfall eintrat, haben sie erst mal keinen Finger krumm gemacht und dem Kaiser empfohlen, Yang Guifei hinzurichten, anderenfalls koennten sie sich nicht fuer ihn einsetzen. Diese Entscheidung mochte der Kaiser aber nicht treffen, und ob sie es nun selbst entschieden hat oder nicht, weiss der Himmel - jedenfalls hat Yang Guifei sich daraufhin umgebracht.
Mit dieser tragischen Geschichte kann man die alte Zeit hinter sich lassen und in die neuere Geschichte blicken. Da das Wasser ja ununterbrochen bis heute noch warm hervorsprudelt, hat sich der Ort zu allen Zeiten einer gewissen Beliebtheit erfreut. Auch Chiang Kai-Shek hat in den 1930er Jahren eine Zeitlang hier gewohnt, weshalb man ein paar Schritte weiter am Fuss des Berges seine ehemaligen Wohnraeume und sein Bad - viel mickriger als Yang Guifeis - sehen kann. Und die Raeume seiner zahlreichen Leibwaechter, die aber den so genannten Xi'an-Zwischenfall auch nicht verhindern konnten. Zwei seiner Generaele hatten ihn hier 1936 festgesetzt, als er sich nicht dazu durchringen konnte, den Vorschlag der Kommunisten anzunehmen und die innerchinesische Auseinandersetzung zu beenden, um Seite an Seite mit den Kommunisten gegen den aeusseren Feind zu kaempfen, die Japaner. Es gab dann wohl eine gar nicht so kleine Schiesserei, denn heute sind zahlreiche Loecher in Waenden und Fenstern als Einschussloecher von damals beschriftet. Am Ende hat er dann wohl einlenken muessen.
Wir beenden den Besuch in Huaqing im "kaiserlichen Toilettenhaus", das angeblich schon frueher als solches gedient hat. Jetzt ist es innen in europaeischem Jugendstil gehalten, natuerlich alles (relativ) neu. Es ist auch wirklich ein bisschen besser als die meisten Toiletten, aber unter "kaiserlich" stelle ich mir doch noch was Anderes vor. Leider ist zum Haendewaschen hier nicht das Thermalwasser vorgesehen, schade … denn danach hatte ich wirklich ein sehr angenehmes Hautgefuehl.
Jaja, ich weiß, manche/r hätte gern mehr Fotos aus Shanghai und von unterwegs gesehen ... insgesamt sind in den vergangenen dreieinhalb Jahren ca. 45.000 Stück entstanden. Aber das hat man eben nur zum Teil meiner Faulheit zu verdanken - zu einem mindestens genau so großen Teil der chinesischen Regierung mit ihrer "great firewall". Hoch lebe das freie Internet!
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Das neue Jahr des Schweins
Wenn ich es schaffe, gibt es hier übrigens auch noch Updates, und zwar aus den bisher unveröffentlichten Reisetagebuchnotizen.
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Sonntag, 3. Mai 2009
Donnerstag, 23. April 2009: Auserdungen
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