Jaja, ich weiß, manche/r hätte gern mehr Fotos aus Shanghai und von unterwegs gesehen ... insgesamt sind in den vergangenen dreieinhalb Jahren ca. 45.000 Stück entstanden. Aber das hat man eben nur zum Teil meiner Faulheit zu verdanken - zu einem mindestens genau so großen Teil der chinesischen Regierung mit ihrer "great firewall". Hoch lebe das freie Internet!


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Das neue Jahr des Schweins

Wenn ich es schaffe, gibt es hier übrigens auch noch Updates, und zwar aus den bisher unveröffentlichten Reisetagebuchnotizen.

Sonntag, 31. Mai 2009

Geheimtipp

Gestern war das Wetter schon wieder "wochenendmaessig", d.h. maessig. Die Freitag geaeusserte Drohung, mich bei gutem Wetter schon um 8 Uhr auf die Aussichtsplattform des SWFC zu scheuchen, trat nicht in Kraft. Auch gut. Statt dessen habe ich am spaeten Vormittag mal wieder Muffins gebacken, und dann haben wir eine kleine Einkaufstour gemacht. Mit der Faehre und auf Schusters Rappen in die FangBang Lu. Ich brauchte neues Kalligrafie-Uebungspapier. Und dann bin ich ja auch immer noch auf der Suche nach einem grossen Stempel fuer die grossformatigen Werke.

Zuerst wollte ich mir aber endlich diesen Tempel in der Seitenstrasse kurz vor "meinem" Schreibwarenladen ansehen. Sonst hatte der ja immer schon (mindestens so gut wie) geschlossen. Dabei scheint mir das fast ein Geheimtipp zu sein, der hat schon wieder sein ganz eigenes Flair. Obwohl es ein buddhistischer Tempel zu sein scheint, heisst er Chen Xiang Ge, wobei das Ge ("Pavillon") sonst eher auf ein daoistisches Etablissement hindeutet. Aber hier halten sich buddhistische Nonnen auf. Man laesst das Gewuehl der Strasse gleich hinter sich, wenn man die kleine Halle der vier Himmelskoenige betritt. Ein bisschen eng ist die Anlage schon, was wohl der Lage in den engen Altstadtgassen geschuldet ist. Im ersten Hof stehen links alte, ziemlich verstaubte Bronzeglocken wie auf dem Abstellgleis, bestimmt ein halbes Dutzend. Durch die naechste kleine Halle mit einem "Blaue-Bademuetze-Buddha" und neun vergoldeten Arhats an jeder Seite erreicht man den hinteren Hof. Eine Nonne waessert die Kuebelpflanzen, die zahlreich herumstehen, mit dem Wasserschlauch. Rechts und links stehen zwei kleine Ginkgos. Der Blick faellt auf eine Veranda im ersten Obergeschoss, an der gerade zwei Leute damit beschaeftigt sind, die vorletzte Fenstertuer auszuhaengen. Sie sind optimistisch, denn keine Absperrung weist unterhalb darauf hin, dass man hier lieber nicht stehenbleiben sollte, weil man so ggf. Opfer eines Ungluecks werden koennte … Bald darauf sieht man sie die Tuer unten durch den Hof tragen. Was nun wohl mit der letzten passieren soll? Sie machen keine Anstalten, die auch noch abzunehmen.

Ich entdecke, ein wenig versteckt, einen Wegweiser nach oben: GuanYin Lou, das Gebaeude der GuanYin. Die Statue dieser Goettin, der weiblichen Form des indischen Avalokiteshvara, bildet das Kernstueck dieses Klosters. Sie besteht aus "eaglewood" (der Leo sagt, das hiesse auf Deutsch "Calambakholz" und sei total edel – hab' ich noch nie von gehoert) und sei vom Schoepfer des Yu-Gartens im Fluss gefunden worden. Einen solchen Wink des Himmels ignoriert man natuerlich nicht. Er liess also die Status vergolden und in seinem Familien-Ahnentempel aufstellen, fuer seine glaeubige Mutter. (Er selber war wohl weniger fromm, sondern mehr dem konfuzianischen Ideal des die Eltern hoch verehrenden Kindes nahe. Aber letztlich ist es ja egal, aus welchem Grunde man Gutes tut.)

Theoretisch muessen wir noch 2 RMB pro Person extra bezahlen, aber keiner will sie entgegennehmen. Dann gehen wir eben umsonst herauf. Der Raum, in dem weit entrueckt eine in anmutiger Pose sitzende goldene GuanYin thront, ist recht gross. An den Seiten reihen sich rot-goldene Schraenke, und rechts und links stehen kindliche Figuren, die an Putten erinnern und lustige Schuerzen tragen. Gegenueber befindet sich das offene "Wohnzimmer", dessen Fenstertueren jetzt weitgehend ausgehaengt sind. Es ist ein vorgebautes Zimmer mit Fenstern zu drei Seiten; darin stehen ein runder Tisch und eine Reihe von Stuhlsesseln auf einem edel aussehenden beige-blauen Seidenteppich. Man kann ins offene Dachgebaelk sehen, das natuerlich auch schoen geschnitzt und lackiert ist. Ein echter Geheimtipp!

Danach kaufe ich noch rasch mein Papier (Investment: 15 RMB), und dann gehen wir in unser Stempel-Stammgeschaeft. Glaube ich … oder … hm, nee … hab's schon ganz vergessen. Kann sein, dass Burkhard da war und ein Geburtstagsgeschenk gekauft hat … Dann wird es ganz schwarz am Himmel, und wir ziehen es vor, die Flucht zu ergreifen. Das mit der Gewitterfront war aber falscher Alarm, den ganzen Abend ueber ist es trocken geblieben.

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