Gestern war das Wetter ein bisschen schoen und sogar ein bisschen warm: 19°C zeigte das Thermometer um die Mittagszeit an. Wir haben uns also aufgemacht, um nochmal in der Taikang Lu herumzustoebern. Das Viertel drumrum ist, wie fast alles hier, merklich aufgehuebscht, und es wimmelt von hippen Chinesen, normalen Chinesen und Langnasen. Die engen Gassen sind jedenfalls gut gefuellt. Diesmal finde ich auch den Laden von Deke Erh, der in jedem (wirklich!) Reisefuehrer als toller Tipp gehandelt wird. Ich weiss wirklich nicht, warum. Deke Erh (oder eigentlich Er Dong Qiang, hier ein Artikel ueber ihn) ist ein Shanghaier Fotograf, der sich unter anderem auf Architektur spezialisiert hat. Seine Buecher sind alle auf eine langnasige Zielgruppe ausgerichtet, seine Website aber wohl nicht - die ist komplett in Chinesisch. In der grossen Halle hinter dem Café haengen ganz alte und ganz frische Schwarzweissbilder von Pudong. Ganz alte: wo der Oriental Pearl TV Tower auf der (vermutlich) gruenen Wiese im Bau ist. Ganz frische: wo der Beton in das "Hakka-Rondell" des neuen Superhochhauses gegossen wird. Die sind natuerlich klasse - aber nachdem wir schon bestimmt ein halbes Dutzend anderer Fotolaeden besichtigt hatten und ja selber auch spektakulaere Bilder haben, sind diese nun auch nicht soooo ein Muss. Interessanter sind da schon die Buecher, in denen er die alte Architektur in Shanghai und anderswo dokumentiert hat. Ein Band ueber Jugendstil in Shanghai und Miami hat es mir besonders angetan.
Im Café sitzt kein Mensch, und ich finde, dass es irgendwie so riecht, als sei in der Naehe ein Klo ... da muss man also auch nicht sitzen, selbst wenn in den Regalen an den Waenden bergeweise bestimmt interessante Buecher auf Leser warten. - In den anderen Laeden gibt es Kram, Kram, nochmals Kram und ein wenig Kunst. Gefuehlt die Haelfte der Laedchen ist wohl auch gerade dabei, den Besitzer zu wechseln oder doch ein neues Gewand zu bekommen: Man blickt in mehr oder weniger fertige Baustellen. Soviel Hoffnung auf das grosse Geschaeft ... wenn das mal gut geht. Der Ni-Hao-Beo ist diesmal nicht da, schade eigentlich: so muss ich selber kraechzen, wenn ich ein lustiges Ni-i haa-ooo hoeren will. In einer der schmalen Gassen hat es wohl einen heftigen Zusammenstoss gegeben: in einer Menschentraube versucht das Auge des Gesetzes, Ruhe und Ordnung wiederherzustellen, und im Vorbeigehen sehe ich zwei Maenner leicht blutueberstroemt. Oh!
Vorher waren wir in einem der Kramlaeden, der vor allem (recht gute) Batiken und interessante Essstaebchen anzubieten hatte. Sieh mal an: da lag auch ein paar von genau der Sorte, mit der ich meine Haare hochgesteckt hatte. Das bemerkte auch die Inhaberin des Ladens rasch, und da sie ziemlich gutes Englisch sprach, waren wir alsbald im Gespraech. Ob sie wohl ein Foto von mir machen koenne, bitte? Eins von hinten und eins von der Seite ... wahrscheinlich werde ich demnaechst in dem Laden als Modell aushaengen, das eine kreative Art der Anwendung von Essstaebchen vorfuehrt, buohahaha!
Wir gehen in eins der vielen Cafés und streifen noch weiter herum, dann beschliessen wir, der DongTai Lu mit ihrem Antiquitaetenmarkt, der eigentlich eher ein Troedelmarkt ist, einen Besuch abzustatten. Vorher entdecken wir noch eine kleine Markthalle. Das Fleisch liegt offen herum, wie das hier so ueblich ist. An den Gemuesestaenden gibt es zur Zeit Zucchini mit Blueten. Die Fischstaende, an denen eine Dame dicken Froeschen an den Schenkeln herumfuehlt, sind mit den wurmwuseligen Schuesseln voller duenner, kleine Aale und anderen "Sehenswuerdigkeiten" bestimmt nicht jedermanns Ding. Ein paar Meter weiter ist der Frischgefluegelstand, an dem ausser Huehnern auch Tauben in einem ziemlich beschissenen Kaefig sitzen ... mir graut es. Das kann einfach nicht hygienisch sein. Zu allem Ueberfluss rauchen auch noch einige der Kunden! Das ist zwar wahrscheinlich verboten, aber offenbar achtet keiner auf das Verbot. Gleich neben dem Eingang zu der Markthalle haelt eine italienische Baeckerei appetitlich aussehende "Bhagwan" feil (Gruss aus Kalau). Hoffentlich ist die Backstube nicht mit der Markthalle verbunden. -
Die DongTai Lu sieht aus wie eh und je; es gibt wirklich ueberwiegend Schund. Die zahlreichen Langnasen kennen alle die Regeln fuers Handeln und sind ihrer mehr oder weniger muede: "Can you give me a serious price?", hoeren wir stossgeseufzt aus dem Munde einer wohl eher genervten Dame. Vermutlich sind in den Laeden in der zweiten Reihe ein paar richtige Stuecke zu kaufen, aber wenn man keine Ahnung hat wie wir ... Vor allem darf man echte Antiquitaeten ja sowieso nicht ausfuehren. Und irgendwie brauchen wir auch keine!
Wir machen einen Abstecher zum Vogel- und Grillenmarkt auf der Tibet Road. Der Komplex, in dem ich schon ewig nicht mehr war, hat jetzt eine echt Potemkinsche Fassade. Angeblich war das Marktgebaeude ja irgendwann einmal renoviert worden in den letzten Jahren, aber mir erscheint alles so drangvoll eng und renovierungsbeduerftig wie eh und je. Nur dass es vielleicht ein bisschen heller ist als zuvor. Die Gaenge zwischen den Buedchen sind weitgehend mit Waren zugestellt (nicht auszudenken, wenn dieses Gebaeude mal schnell evakuiert werden muss ...). Zu den Waren zaehlen endlose Reihen von Grillen und Heuschrecken in allen Groessen; es gibt schwarze und gruene, und die machen schon einen ziemlichen Laerm. Die Voegel sind auch nicht gerade still; so haben die Anbieter von Vogel-Lebendfutter mit ihren still vor sich hinwimmelnden Kisten mit Wuermern in verschiedenen Groessen und Dicken wie auch die Verkaeufer von Fischen und anderen Aquarienbewohnern (Schildkroeten, Molche, Krebse) das Vergnuegen, in Oasen relativer Stille zu sitzen. ;-))
Mittlerweile ist es aber schon fuenf Uhr durch, und die Luft wird merklich frischer. Wir fahren ganz ohne irgendwelche Einkaeufe nach Hause.
Jaja, ich weiß, manche/r hätte gern mehr Fotos aus Shanghai und von unterwegs gesehen ... insgesamt sind in den vergangenen dreieinhalb Jahren ca. 45.000 Stück entstanden. Aber das hat man eben nur zum Teil meiner Faulheit zu verdanken - zu einem mindestens genau so großen Teil der chinesischen Regierung mit ihrer "great firewall". Hoch lebe das freie Internet!
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Das neue Jahr des Schweins
Wenn ich es schaffe, gibt es hier übrigens auch noch Updates, und zwar aus den bisher unveröffentlichten Reisetagebuchnotizen.
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