Am Samstagmorgen war der Blick aus dem Bett auf den Fluss ganz untypisch (fuer ein Wochenende, meine ich): wunderbar blauer Himmel, sogar der Fluss ein bisschen blaeulich angehaucht (bilde ich mir jedenfalls jetzt ein, wenn ich hier schreibe), und alles von strahlender Sonne beschienen: das faengt ja gut an. Zwar darf man solchen Wetterlagen in Shanghai nicht unbedingt trauen, aber als es am spaeten Vormittag immer noch schoen war, haben wir uns zum Garten des Gluecks und langen Lebens aufgemacht, auf Chinesisch 福寿园, sprich fúshòuyuán. Ein etwas beschoenigender Name allerdings ... Auf ihrer Website (sogar auf Englisch!!) behaupten die Betreiber, dass es Chinas schoenster Friedhof sei. Zwar kann ich das nicht beurteilen, halte es aber auch nicht fuer ausgeschlossen. Es handelt sich um ein ziemlich riesiges Friedhofsareal, das bei der Stadt Qingpu "vor den Toren" von Shanghai gelegen ist, nicht weit vom SheShan, auf den wir bei der Rueckfahrt einen wunderbaren Blick hatten. Aber wer spricht von Rueckfahrt!
Als wir ankamen, glaubten wir noch, wir wuerden vielleicht zwei Stunden bleiben. Aber das Areal ist gross, es gibt viel zu sehen, und in diesem ganz speziellen Park gibt es, anders als in vielen anderen chinesischen Parks, richtige Parkbaenke, auf denen ich sozusagen die Sonne bescheinen konnte ("wo shai taiyang" - "ich scheinen Sonne", so denke ich jedenfalls immer, aber "shai" heisst eben trotz dieser phonetischen Koinzidenz nicht bescheinen, sondern beschienen werden). Oder halt: vielleicht gibt es in anderen Parks auch Baenke, aber ich nehme sie nicht so wahr, weil immer alle besetzt sind. ;-))
Im Eingangsbereich gibt es einen kleinen Laden, eine Wand, an der die ganzen "Model Unit"-Schilder udglm. angebracht sind, die die Betreiber - man muss schon sagen: - angehaeuft haben, Informationsraeume und noch andere praktische Einrichtungen, deren Bedeutung sich mir aber nicht spontan erschliesst. Man geht erst auf einen grossen Klotz zu, der ein bisschen unfreundlich aussieht. Wenn er etwas schlanker waere, koennte er mich an diese KZ-Aufsichtstuerme erinnern - aber er ist eben nicht schlank. Eigentlich sollte er auch golden strahlen, denn die fensterlosen Waende bestehen aus goldbronzefarben glasierten Ziegeln - aber irgendwie funktioniert das nicht, sie wirken eher graeulich. Bevor man den "Klotz" erreicht - es handelt sich um ein Kolumbarium - passiert man die FuShouTang, eine Art Tempelhalle mit einem riesigen roten Holzfisch, eher kitschig aussehenden, matt-bronzefarbenen Buddhas und Arhats, und "Tempelmusik" vom Band. Dann betritt man das Foyer des Klotzes, in dem Ausstellungstafeln wohl an beruehmtere Persoenlichkeiten erinnern, die hier ihre letzte Ruhestaette gefunden haben. Aber das Gebaeude ist auch fuer weniger beruehmte Leute: auf 9 oder 10 Etagen werden die Urnen in langen Regalreihen aufbewahrt - so erscheint es jedenfalls, wenn man ins erste Obergeschoss hinauflugt. Wir sind nicht hinaufgefahren.
Draussen ist die riesige Flaeche in verschiedene "Gaerten" unterteilt, die alle einen eigenen Namen haben, der auch in Pinyin angeschrieben steht. In Frakturbuchstaben! Das kann bestimmt kein Chinese entziffern - braucht er natuerlich auch nicht, denn der kann ja gleich die chinesischen Zeichen lesen. - Innerhalb der einzelnen Bereiche sind die Graeber mehr oder weniger einheitlich gestaltet. Meist sind es Graeber fuer Paare. Wenn einer oder beide noch leben, fuellt ueblicherweise ein Keramikmedaillon mit dem Zeichen "shou" fuer Langlebigkeit den Platz, der anderenfalls von einem ebensolchen Keramikmedaillon mit einem Foto des oder der Verstorbenen eingenommen wird. Wie in vielen anderen Laendern sind die Graeber uebrigens weitgehend aus Stein und ueblicherweise nicht gaertnerisch gestaltet. Hier trennen aber Pflanzen die einzelnen Graeber und die Reihen, so dass man sich keinesfalls wie in einer Steinwueste vorkommt. Ich aergere mich ueber die Pietaetlosigkeit, dass auf einem Grab zwei Zigarettenkippen liegen - aber da bin ich auf dem Holzweg, denn bald darauf sehen wir eine Frau an einem Grab hocken, auf dem gerade zwei Zigaretten brennen - da hat sie ihrem verstorbenen Gatten wohl mal etwas zu rauchen vorbeigebracht und haelt jetzt vielleicht Zwiesprache mit ihm. Was ich noch zu sagen haette, dauert eine Zigarette ... oder eben auch zwei.
Oft (ueberdurchschnittlich oft, scheint mir ...) ist dann auch schon ein ai'er oder eine ai'nü, also ein geliebter Sohn oder eine geliebte Tochter, in der Grabstaette untergebracht. Ueberhaupt sieht man jede Menge Grabinschriften von Leuten, die deutlich juenger gestorben sind als wir. Ist das ein Ausdruck der schlechten Umweltbedingungen, des rohen Lebens ohne doppelten Boden oder des wenig erfolgreichen Gesundheitswesens? Das erschliesst sich mir allerdings nicht.
Jaja, ich weiß, manche/r hätte gern mehr Fotos aus Shanghai und von unterwegs gesehen ... insgesamt sind in den vergangenen dreieinhalb Jahren ca. 45.000 Stück entstanden. Aber das hat man eben nur zum Teil meiner Faulheit zu verdanken - zu einem mindestens genau so großen Teil der chinesischen Regierung mit ihrer "great firewall". Hoch lebe das freie Internet!
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Das neue Jahr des Schweins
Wenn ich es schaffe, gibt es hier übrigens auch noch Updates, und zwar aus den bisher unveröffentlichten Reisetagebuchnotizen.
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